Zum Raum wird hier die Zeit
Enno-Ilka Uhde – Künstler des verweilenden Augenblicks
Ein biografisches Essay
Die Faszination des Fünfjährigen, der er einst war, beschreibt er mit dem Moment, in dem sich im Staatstheater Wiesbaden der Vorhang öffnete und ihm den Mythos der Oper in Klang und Bild offenbarte. Enno Uhde erzählt gerne von dieser Zeit der märchenhaften Verwandlung auf der Bühne, seinen unzähligen Theater- und Opernbesuchen als Kind und Jugendlicher in der Staatsloge am Wiesbadener Theater, zu der er dank familiärer Kontakt über viele Jahre uneingeschränkt Zugang hatte. Dazu kamen seine Mitwirkung im Wiesbadener Knabenchor und Operngesangsausbildung am Konservatorium. Er selbst ist eine wahre Enzyklopädie der Musik und Musikgeschichte, weiß um die großen und kleineren Stimmen der Welt und was sie ausmacht, weiß um Musikrichtungen und Komponisten, egal ob Klassik, Moderne oder Filmmusik. Heute fasst er dies alles zusammen im Begriff des Raumklangs, denn Raum klinge immer – egal ob es das Brummen des Kühlschranks, Autogeräusche oder das Scharren der Füße unter dem Tisch sei – und mit ihm offenbarten sich die gesellschaftlichen Verhältnisse. In gleicher Weise klängen für ihn auch Bilder, was er gerne mit dem Beispiel des World Press Foto von Eddie Adams verdeutlicht, auf dem ein südvietnamesischer Polizeichef ein Vietcong-Mitglied 1968 auf offener Straße in Saigon erschießt. Durch den Fokus der Momentaufnahme wird das Auseinanderklaffen von Legitimität und Legalität offenbar und gibt als Kunstwerk einen Blick auf menschliche Wahrheit frei.
Für Enno Uhde besteht das große Geschick einer Inszenierung darin, Raum, Zeit und Klang in einer Bedeutungsebene zusammenzubringen. Er rechnet nicht mit den Großen ab, sondern ehrt sie, indem er sie gerne als Werke zitiert und mit dem aktuellen Kontext in Verbindung bringt. Mit seinen eigenen Werken möchte er Bedeutung schaffen, denn „gute Werke deuten“, deuteten auf etwas Wesentliches hin jenseits der direkten Erkenntnis. Wie im Sinne Richard Wagners müssten Klang, Raum, Zeit und Bild in einer gelungenen Inszenierung eine Einheit bilden und eine transformatorische Ebene öffnen.
Ausgangspunkt für seine eigene künstlerische Arbeit als Regisseur war das kritische Schultheater, das er während seiner zwölf-jährigen Lehramtszeit mit seinen Schülern initiierte und sein Publikum damit in absolute Liebhaber und Feinde spaltete. Seine Staatsexamen hatte er über Richard Wagners Werk und demokratische Kooperationsformen im Schultheater geschrieben. Der erste Auftrag als freier Regisseur war 1991 die Inszenierung des 70. Geburtstags von Sir Peter Ustinov an der UNESCO in Paris, die seine fünfzehn-jährige Tätigkeit als künstlerischer Leiter des Europapark in Rust einleitete. Hinzu kamen dramaturgische Arbeiten am Staatstheater Braunschweig und eigene Theater-, Konzert- und Fernsehproduktionen. Im Europapark baute er den gesamten Entertainmentbereich mit auf, kreierte Revuen, Variété-Theatershows, große Gala-Abende und Dinnershows, entwarf unzählige Inszenierungen maßgeschneidert für spezielle oder auch wiederkehrende Anlässe. Mit einem Ensemble von bis zu 250 Künstlern (Tänzerinnen, Artisten, Akrobaten, Schauspielern, Sängern etc.) wurde er zum Schöpfer unzähliger unvergesslicher magic moments bei Publikum, Mitwirkenden und Auftraggebern aus Industrie, Wirtschaft und Politik.
Cordula Münchmeyer M.A.